Es ist 4 Jahre her, dass ich mit all meinen Sachen nach Hamburg gefahren bin.
Es fühlt sich fast so lange an, wie mein letzter Eintrag. Ein Eintrag, den ich selbst erst einmal wieder lesen musste, um nachzuvollziehen, was damals alles passierte.
Meine Idee ein Label zu gründen, um die Geschichten anderer Menschen zu erzählen. Daraus entstand eine Firmengründung, Kalligrafie Karten, 3-4 Abschlussarbeiten die versuchten die Herausforderungen zu knacken, Workshops, Interviews, Ein Firmenkonto mit 1.000 Euro Eigenkapital, Eine Website,… und irgendwann die Aufgabe.
Zu unklar, was aus der ganzen Sache werden sollte. Ein Verein, eine gGmbH, eine GmbH, eine Geschäftsidee? Ich vermute heute, dass ich mir selbst eine größere Bedeutung gewünscht hatte. Eine Rolle im Leben anderer. Nach der Aufgabe zog ich mich zurück, lernte wieder für mich, fand einen Werkstudentenjob und schrieb weiter an meiner eigenen Geschichte.
Und so wurde ich innerhalb dieser 4 Jahre von einem ausgebildeten Versicherungskaufmann zu einem Motion Designer bei einer der renommiertesten Hamburger Kreativagenturen.
Der Bachelor ist bestanden und die Probezeit vorbei. Damit könnte ich 3 Jahre nach meinem letzten Kapitel dieses Buch schließen mit einem Fazit:
Es war immer die Validierung, die mir am meisten gefehlt hat. Der Spiegel, dass die Art wie ich denke gut ist und einen Platz in der Welt verdient. Dass es meine Verträumtheit ist und meine Neugier Dinge auszuprobieren, die mich als kreativen Menschen auszeichnet. Der Forschungsdrang, der dann aufkommt, wenn ich allein in meinem Zimmer bin.
Jetzt stehe ich also hier. An der Quelle der Kreation und merke – Ich muss kein Fazit ziehen, denn da geht noch einiges mehr. Was genau möchte ich gerne erklären.
Bis mir Motion Design (Video Animation) das entscheidende Tor zu meiner Kreativität geöffnet hat, habe ich mich in vielen kreativen Dingen ausprobiert. Kunst, Selbstständigkeit, Tätowieren, Workshops, … Wer meine Reise bis hierhin verfolgt weiß, dass ich viel auf meinem Weg ausprobiert habe.
In der Regel gab es immer irgendwas, das mich daran gehindert haben, weiterzumachen. Die eigene Überzeugung, ein Fehlen von Zielen, der unbändige Wille, es in genau diesem Bereich zu schaffen. Disziplin.
Unterm Strich lässt sich vieles davon auf ein bestimmtes Defizit runterbrechen:
Die Bestätigung durch erfahrene Mentoren-Figuren. Menschen, die sich mit mir zusammensetzen und mir dabei helfen, einen roten Faden zu finden. Es war ein harter Weg, der mich wie ein Pinball an jede Wand hat anschlagen lassen, bis ich 2018 die erste bewusste Erfahrung mit einem positiven, in meinem Fall männlichen, Vorbild machte.
2018, das Jahr in dem ich in tiefenpsychologische Therapie kam und einem Mann gegenübersaß, der die Möglichkeit hatte, mir einen Zugang zu meinem Denken zu verschaffen. Und der diese Herausforderung herausragend gemeistert hat.
Von diesem Zeitpunkt an traf ich in regelmäßigen Abständen Menschen, die diese fehlenden Rollen übernahmen. Manchmal in großen Entscheidungen, wie einem Job-Angebot. Andere Male in kleinen Gesten, wie wichtigen Gesprächen. Sie begleiteten mich durch mein Studium und in mein Arbeitsleben. Über kleinere und größere Zeitabschnitte hinweg, zeigten sie mir Perspektiven auf und schätzen mein Engagement. Gleichzeitig gaben sie mir Rückhalt, wenn ich selbst einmal nicht mehr weiterwusste.
In einem Buch über die Herausforderungen für Berufsschulen bei der Generation Z las ich einst ein paar Worte, die mir bis heute zu denken geben. Auf Seite 20 heißt es „(…) Aber dazu habe ich Selbstvertrauen benötigt. Und dieses Selbstvertrauen wuchs aus dem Vertrauen, das mir andere entgegengebracht haben (…) Ich kann, wenn es mir jemand zutraut“ („Generation Z als Herausforderung für die Berufsschule“ / Christian Scholz / Josef Haspinger / 2016 / Hrsg.)
Es ist nun 2023 und wenn ich in meinem Büro sitze, blicke ich direkt auf die Elbphilharmonie, einer der großen Sehenswürdigkeiten Hamburgs. Meine Präsentation aus dem ersten Semester, welche ich unter Tränen hielt, fühlt sich an wie eine Ewigkeit her. Sie bleibt für mich ein Sinnbild dafür, dass ich nicht eingesehen habe, aufzugeben. Mittlerweile gesellen sich neue Erinnerungen dazu. Eine Benefiz-Gala, bei der ich vor Sami Khedira, den Orsons und verschiedenen Porsche Funktionären eines meiner Gemälde präsentierte und verkaufte. Oder die Abschlussrede bei unserer Graduierung.
Heute arbeite ich mit Kolleg:innen an Kampagnen, die in Kinos und auf Plattformen mit Millionen von Zuschauern zu sehen sind. Ich habe einen Platz in der Welt und kann mich weiter zu dem Mensch entwickeln, der ich im Innern bin. Ein neugieriges Kind unter einer Kuppel, das mit einer Hand voll Bauklötze versucht Paläste zu errichten. So habe ich meine Denkweise vor einiger Zeit einmal beschrieben und es ist bis heute die passendste Metapher.
Was mir zugute kommt: Entgegen einigen Horror-Geschichten aus dem Agentur-Wesen mache ich in der Regel pünktlich um 18 Uhr Feierabend und mir wird die Freiheit gelassen meine Arbeitsentwicklung zu einem großen Teil selbst mitzugestalten. Dazu kommt, dass ich mir zu Beginn meines festen Arbeitsverhältnisses eine 4-Tage Woche ausgehandelt habe.
3 Tage in der Woche sollen für mich freibleiben. 3 Tage, in denen ich weiter experimentieren und eigene Projekte vorantreiben kann. Mein Gedanke, dass auch mein Umfeld früher oder später von diesem Umstand profitiert, geht auf, als Künstliche Intelligenz plötzlich in der kreativen Szene einschlägt.
ChatGPT ist gerade ein paar Monate öffentlich zugänglich, als ich die ersten Vorträge zu Stable Diffusion höre, die mich stutzig machen. Ein Programm, bei dem ich den Output weitestgehend kontrollieren kann? Das ich mit eigenen Bildern füttern und auf eigene Stile trainiere? Mein Interesse ist geweckt und ich teste nun Wochenende für Wochenende verschiedene Möglichkeiten, um das zu erforschen. Mein 2017 Macbook Pro, an dem ich auch jetzt gerade diesen Artikel schreibe ist nicht wirklich dafür geeignet und so finde ich in verschiedenen Cloud-Diensten die Rechenleistung, das umzusetzen, was ich umsetzen möchte. Zuerst sind es Modelle, die ich auf meinen eigenen Mal-Stil trainiere. Dann Modelle, mit denen Objekte kreiert werden. Viele verschiedene Tools kommen mit der Zeit dazu. Die meisten haben den Zweck die Kreation weiter zu kontrollieren.
Nur wenige Monate später halte ich einen ersten Vortrag über generative Künstliche Intelligenz im Bereich Bild-Generierung. 60 Menschen aus meiner Firma sind zugeschalten. Etwa eine Woche später halte ich nochmals einen Gastvortrag an meiner alten Universität.
Es geht also los und meine Erfahrungen in den verschiedensten Feldern finden ihren Platz:
Die Zeit als Versicherungskaufmann gibt mir die Struktur und Organisation meiner Ergebnisse. Meine Kalligrafie-Workshops, das Selbstvertrauen eines Lehrenden und die Vorbereitung auf Vorträge manifestiert noch einmal das Wissen um des Experten-Status, den ich mir in meinem WG-Zimmer an den Wochenenden erarbeitet habe. Das alles aufbauend auf einem Erfahrungsschatz von Reisen, Verlusten, eingegangenen Risiken, Therapien, Ayahuasca-Zeremonien, Verarbeitung, das ewige Suchen, Gesprächen und einem Netzwerk an Menschen, welches mir mit Rat zur Seite steht. Ein Netzwerk, das langsam, aber kontinuierlich größer wird.
Das Vertrauen, das mir andere entgegenbrachten hat mir die Möglichkeit gegeben, mich in ein neues Selbstvertrauen hineinzuentwickeln. Es hat sich langsam aufgebaut und manchmal kämpfe ich noch mit diesem neuen Stand. Ich kenne ihn noch nicht besonders gut und daher fühlt er sich manchmal ungewohnt an. Immerhin habe ich vor nicht allzu langer Zeit noch auf ein Öl-Gemälde geschrieben „Look at me!“. Heute werde ich gesehen und das ist auch gut so.
In nochmaliger Erinnerung an meinen Therapeuten, der einmal sagte, dass es Zeit für mich ist die Opferrolle aufzugeben. In den letzten Jahren ist sie wie eine alte Haut brüchiger und trockener geworden. Am Ende ist sie abgefallen. Manchmal spüre ich noch kleine Fragmente dieser Zeit und auch das ist gut so.
David
Wiederholter Berufseinsteiger & Visionär.
Kämpfer für den verlorenen Jungen der ich mal war und die vielen, die es noch gibt.