Tobias / Miak
„ich brauche keine guten Noten, ich mache später eh was Kreatives“ oder auch der Mensch, der mich immer kritisieren durfte.
Auf eine tragische Art gibt es wohl keinen Menschen auf dieser Welt, der mich länger und nachhaltiger in meinen Entscheidungen geprägt hat als Tobi und mit seinem letzten Entschluss hat er ohne es zu wissen den größtmöglichen Stein ins rollen gebracht, was meine eigene Zukunft angeht.
Um diese Person zu beschreiben muss ich sehr früh beginnen:
Im September 1997 kam ich im Alter von 11 Jahren auf’s Gymnasium und traf ihn zum ersten Mal. Zwei Grünschnäbel mit blühender Fantasie, die sich gegenseitig öfter mal auf dumme Ideen brachten.
Anfangs noch harmlos zeichneten wir uns unser eigenes DavTo-Mobil auf Papier, ein Wohnmobil mit allen nur erdenklichen Extras.
Später beschmierten wir Schul-Klos und wurden dabei erwischt. Wir rauchten unseren ersten Joint gemeinsam, zusammengebastelt aus Nutzhanf und Tesa. Wir tranken alle zusammen im Schullandheim den geklauten Tequila.
Ich hatte meinen ersten Vollrauch mit Kirschwasser und Tequila und erbrach mich, dank der auf Lunge gerauchten Zigarre anschließend in seiner Toilette. Den Zwieback, den er mir am nächsten Tag reichte nahm ich nur zu gern dankend an.
Viele Momente unserer Jugend, die uns beide sehr stark prägten, haben wir gemeinsam erlebt und dennoch trennten sich unsere Wege vorerst nach der 8. Klasse, da wir beide zeitgleich die Schule in verschiedene Richtungen verließen.
Ich wechselte auf eine Realschule und Tobi auf ein anderes Gymnasium und der Kontakt wurde weniger.
Auf der Realschule begann ich nachdenklicher und ruhiger zu werden, während Tobi viele Stuttgarter Kontakte knüpfte und immer weiter in die Graffiti-Szene eintauchte und wie ich später festellen konnte sich dort auch einen großen Namen erarbeitete.
Mit Anfang 20 trafen wir uns zufällig am Hauptbahnhof und wir begannen wieder mehr miteinander zu unternehmen.
Ich war immer beeindruckt von der Kompromisslosigkeit, mit der Tobi sein Leben weitergeführt hatte. Sinnbildlich für seinen Werdegang erzählte er mir, wie er im Abitur einmal einer Lehrerin entgegnete: „Ich brauche keine guten Noten, ich mache eh was Kreatives später und dafür brauche ich eine gute Mappe und kein gutes Zeugnis.“
Und während er selbst immer versuchte seine Fähigkeiten auf ein Maximum zu bringen wurde er nicht müde, die Menschen um ihn herum zu motivieren, zu bestärken weiterzumachen und diese auf eine konstruktive Art zu kritisieren, da er in vielen Menschen die Fähigkeiten sah, die ungehört und ungesehen schlummerten… unter vielen anderen auch in mir.
Er war derjenige, der mir die kleine Buchstabenlehre zeigte und er war derjenige, der mir die Kalligrafie näher brachte. Er war auch derjenige, der meine Bilder nie unkommentiert ließ und von dem man immer eine konstruktive Kritik erhielt.
Im Dezember 2014 bekam ich eine Nachricht von ihm, dass er wegen eines Sturzes im Krankenhaus lag. Wie schwer der Sturz gewesen sein muss konnte ich mir im ersten Moment nicht mal ansatzweise vorstellen, aber immer mehr Details die nach und nach ans Licht kamen zeigten, wieviel Glück er in diesem Moment noch hatte zu Leben.
Es begann eine Zeit, in der ich oft 2-3 mal die Woche im Krankenhaus war. Teilweise bis 2 Uhr nachts, wenn die Pfleger das zuließen.
Ich bin kein perfekter Mensch und manchmal stellt man sich auch die Frage, ob man selbst mehr hätte tun können, aber seit dem Anruf am 04.Oktober 2015, in dem mir meine Schwester unter Tränen mitteilte, dass sich Tobi das Leben genommen hat, bin ich froh, dass ich in den letzten Monaten seines Lebens noch viel Zeit mit ihm verbringen konnte und ich bin noch immer verwirrt darüber, derjenige zu sein, der diese Zeilen schreibt.
Derjenige, der jetzt versucht die richtigen Worte zu finden um ein Leben zu beschreiben, welches viel zu kurz war und welches bei weitem mehr Details zu bieten hatte, als dass ich sie alle kennen könnte.
Im Krankenhaus sprachen wir einmal darüber und er meinte, er könne ein ganzes Buch schreiben mit den Geschichten, die er erlebt hat.
Das Buch hätte ich gerne gelesen.
Wenige Tage vor der Einäascherung besuchte ich gemeinsam mit der Familie und meiner Freundin den Sarg.
Ich zögerte erst, denn wohin gehört man in diesem Moment? Welchen Stellenwert hat man neben einer weinenden Mutter, die ihren Sohn verloren hat? Neben dem kleinen Bruder und neben der kleinen Schwester, die man noch als Kinder kennengelernt hat und die jetzt aufrecht und erwachsen neben dir stehen und den Tod ihres Bruders betrauern.
Als der kleine Bruder mein Zögern bemerkte, schob er mich in den kleinen Raum mit dem viel zu kleinen Sarg und den Worten „du hast ihn am Besten gekannt!“.
Ich weiß nicht, ob das stimmt. Oft habe ich das Gefühl viel zu viel von diesem Leben verpasst zu haben, während andere Menschen die wirklich prägende Zeit an seiner Seite waren.
Nichtsdestotrotz stand ich da, einen kurzen Moment alleine stammelnd und zu schüchtern um laut auszusprechen, was ich dachte und somit flüsterte ich ein Versprechen und wer sich diese Homepage genauer anschaut wird eventuell ein Stück weit verstehen, was ich an diesem Tag sagte…
Ruhe in Frieden
David.