Chapter 13: the source

Eines der schönsten Geschenke, welches man einem Menschen machen kann, ist das Streben nach dem eigenen Ich – inklusive der Bedürfnisse, der Schwächen und der Komplexität, die nur in einer einzigen Person liegen.  

Wenn du es schaffst, hinter deine eigenen Mauern zu blicken und das was du wirklich fühlst für dich selbst in klare Worte zu fassen, bist du an der Quelle von allem was du bist und wirklich sein kannst… 

Beginnen wir mit dem nächsten Teil meiner Geschichte: 

Ich habe ein Problem. Naja eigentlich nicht wirklich, denn mein Problem besteht darin, dass eines meiner größten Probleme gelöst wurde.  

Etwas in mir ist verschwunden. Das Drama des Unverstandenen, des Suchenden, des Rastlosen und alles was übrigblieb, war ein 33 Jahre altes Ich, welches sich zum ersten Mal so richtig greifen ließ. Fremd, ungewohnt, befreit. Noch immer begleitet von Gedankengängen und Strukturen, die über Jahre hinweg trainiert und einverleibt wurden.   

Als Teil meiner Persönlichkeit. Als Teil meines Wesens. Das Vergangene im Charakter meines Hier und Jetzt, jedoch ergänzt durch das Wissen, wieviel Einfluss ich heute habe auf das was ich in Zukunft denke und das was ich mache.  

Es ist Wahnsinn darüber nachzudenken, wie sehr unsere Vergangenheiten und auch die unserer Mitmenschen die eigene Gegenwart bestimmen. Wie Verletzungen mitgetragen werden in die Leben unserer Lieben.  

Als Durcheinander aus Erlebtem, gewürzt mit dem Leid, der Freude und der einzigartigen Schönheit eines jeden einzelnen.  

Es ist aber auch ein mindestens ebenso großer Wahnsinn zu merken, was Zielsetzung für eine Kraft in einem Menschen auslösen kann. Was ein klar formulierter Wunsch für die Zukunft bedeutet, von Hand aufgeschrieben auf der ersten Seite eines kleinen unscheinbaren Notizbuches.  

My biggest goal – happiness

Was bleibt sind Erinnerungen und ein Rucksack voller Wissen und Erfahrungen, der sich allein bei mir in den letzten 3 Jahren um ein Vielfaches erweitert hat. Manchmal auch ein wenig Ärger über die Last, die getragen wurde, jedoch umso mehr Dankbarkeit, dass ich in diesem Teil der Welt geboren wurde. Für den Zugang zu einem ausgebildeten Menschen, der mir dabei half, meinen roten Faden im Leben wieder zu finden. Für Schulen, Bildung, Bücher und einem funktionierendem Gesundheitssystem. 

Für innere Stärke und ein Herz, welches nie zu Lieben verlernt hat. Für die Frage, ob es vielleicht bisher nie richtig lieben konnte. Für die Erkenntnis und die damit verbundene Arbeit, die hinter mir liegt. Für Freunde und Familie und die Vorfreude auf alles was jetzt kommt. 

Stuttgart 

Vor etwa 5 Monaten bin ich zurückgekehrt. Zurück in die Heimat. Nur wenige Kilometer entfernt von dem Ort, an dem mein Leben begann. Kräfte sammeln, Geld sparen, neu justieren.  

Ein alter Arbeitgeber vermittelte mir problemlos einen Aushilfsjob in einem großen Bürokomplex. Kein Telefon, nur Verwaltung. Raus aus dem Minus. Vorbereiten auf Oktober.   

Als ich auf halber Strecke merkte, dass ich finanziell nicht dort stehe, wo ich in Vorbereitung auf mein Studium stehen wollte, begann ich abends noch in einem Wirtshaus zu arbeiten. Speisekarten putzen. Bier zapfen. Bestellungen aufnehmen.  

Gedankensprung 

ich blicke in den leeren Raum eines urigen Wirtshauses. Draußen hat es über 30 Grad, weswegen die wenigen Gäste, die wir an diesem Sonntag haben, im Freien sitzen.  

Sonnenstrahlen durchdringen die hohen Fenster und fallen vereinzelt auf die alten Tische und Stühle. Über dem Holz tanzen Staubpartikel im Licht.  

Bis auf die leise Musik und das monotone Wischen von Papier auf Plastik ist nichts zu hören. Meine Hand greift zum Glasreiniger und eine weitere, laminierte Karte verliert den Schmutz der letzten Woche.  

“Alles passiert, wie es passieren muss” klingt aus dem Lautsprecher – Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, als mir einmal mehr klar wird, wie treffend diese Worte sind. Eine Mischung aus rührend, nostalgischer Melancholie und Vorfreude begleitet mich und womöglich zum ersten Mal fühle ich bewusst die Kontrolle über meine Zeit und damit über mein Leben. Wenige Stunden nach Ende der Schicht im Wirtshaus sitze ich ein wenig müde hinter meinem Schreibtisch im Büro.  

Gedankensprung Ende 

Es bereitet mir Mühe, über alte Muster hinweg in mich hineinzufühlen und darüber nachzudenken, was gerade passiert. Innezuhalten und festzuhalten, was ich will und dabei in Frage zu stellen, was andere möglicherweise erwarten. Manchmal ist es schwierig, diese Dinge voneinander zu unterscheiden und wenn ich merke, dass ich unter Druck gerate, nehme ich mir auch mal ein paar Tage Zeit für eine Entscheidung.  

Eine neue Art von Selbstbewusstsein entsteht und in ihr eine Klarheit weit entfernt von dem, was ich früher als selbstbewusst empfunden habe. Aus einer Zeit, in der für mich laute Menschen und deren Präsenz noch Attribute für Stärke waren.  

Dem entgegen steht heute die Freiheit, das für richtig zu erachten, was ich als richtig empfinde und der fehlende innere Zwang, einen Menschen und seine Worte auf ein imaginäres Podest zu heben. “Audienz-Denken” hatte mein Therapeut dies einmal genannt. Das Gefühl, es seinem Gegenüber zu 100% Recht machen zu müssen und sich bereits vorab für alles was eventuell schiefläuft, schuldig zu fühlen. 

Der Hirnfick ist nicht verschwunden, aber er wird ruhiger. Der Schlaf ist meist entspannt und fest und die Stunden, die ich mit tollen Menschen verbringe sind zwar nicht mehr alltäglich, werden dafür aber um ein Vielfaches mehr genossen. 

Die Vorbereitungen für Hamburg laufen auf Hochtouren, denn im Oktober ist es endlich soweit. Mein Studium beginnt.  

Während der größere Teil meiner Woche darin besteht, vorerst wieder nach den Anweisungen meiner Arbeitgeber zu handeln, finde ich am Wochenende weiterhin Zeit, um kreative Arbeiten zu erledigen.  

Ich gestalte einen digitalen Schriftzug für die Magica 2020 („Hocus Pocus“), der deutschen Meisterschaft im Zaubern in Fürstenfeldbruck nächstes Jahr. Mithilfe der großartigen Julia (www.sushimoon.de) gelingt es mir eine Vektorgrafik zu erstellen (siehe letztes Kapitel “Identität”). 

In dieser Zeit entsteht auch ein Gemälde (Acryl auf Holz) mit dem Namen “Depth”, von dem limitierte Drucke zum Verkauf stehen. 

Ich glaube an Schicksal. Ich glaube an einen Weg und ich glaube daran, dass sich in mir etwas weitaus Größeres versteckt hält und dass ich gerade erst dabei bin, mich selbst zu entdecken. Das was mich und meinen Stil ausmacht und mit ihm auch den wahren Zugang zu mir und meiner Kunst. Im Geschriebenen, sowie in den Bildern.  

Trotz oder vielleicht gerade wegen der mittlerweile erreichten mentalen Klarheit fühle ich an manchen Tagen einen umso bewussteren und manchmal schwerwiegenden Wunsch nach Zugehörigkeit.  

All das, was hinter dem Schleier aus Feiern, Flucht und Abenteuer verborgen war, kommt nun langsam zum Vorschein. Die Suche nach einem zu Hause. Nach Geborgenheit. Nach Schutz. 

Wenn ich bei Freunden zum Weihnachtsessen eingeladen werde, oder ein Fest in meinem Heimat-Dorf besuche. Wenn ich die Familien sehe, die trotz ihrer Zwiste und Streitigkeiten beisammenstehen. Dann fühle ich die Einsamkeit. 

Den Wunsch nach einem Haus, in das ich in der Not hätte zurückehren können.  

13 Jahre nachdem meine Eltern auswanderten, kommt die Sehnsucht, die ich in dieser reinen Form nie verspürt habe.  

Und mit ihr das Bewusstsein, wieviel Kraft mich das eigentlich gekostet hat, das alles so lange vor mir herzuschieben. 

“Wir sitzen in einem Zimmer. Mein Therapeut hört nur noch zu, während mein Vater und ich entspannt miteinander sprechen. Über sein Leben, über meins und welche Gemeinsamkeiten unsere Geschichte verbindet. Hin und wieder nickt mein Therapeut, sagt aber weiter nicht viel. Es ist auch nicht mehr nötig. Nach etwa anderthalb Stunden mache ich mit ihm den allerletzten Termin aus.” 

In grenzenloser Dankbarkeit an meine Familie, meine Eltern, meine Geschwister, sowie jeden Freund und jede Freundin, die mich und auch Teile meiner Familie immer und immer wieder an Ihren Tischen willkommen hießen.  

David 

“was passiert eigentlich, wenn ich ab Oktober in Hamburg bin? Wie oft muss ich anwesend sein oder soll ich mir lieber dort einen neuen Platz suchen?” 

“Fragen Sie sich doch lieber, ob eine Therapie dann noch notwendig ist?!” 

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