Kapitel 6: Heimaturlaub / Jahresabschluss 2016

Am 10.November 2016 habe ich meinen letzten Eintrag hochgeladen und mich seitdem eher bedeckt behalten, was Informationen angeht.
Irgendwie bin ich der Meinung, dass gar nicht soviel interessantes passiert, was die Welt zwingend erfahren muss. Es gibt zig Reise-Blogs in denen mehr geboten wird als meine mehrere Monate dauernde sachlich, melancholische Selbstreflexion.


Es gibt fast keine Strandbilder (die Karibik ist nur 40 min entfernt).
Es gibt keine Sauf-Party-Bilder (Ich arbeite 4x die Woche an einer Bar mitten im Dschungel).
Es gibt keine Food-Porn-Bilder (nebenbei erwähnt fast ausschließlich vegetarische Ernährung seit November 2016)

Bei einer handvoll Menschen scheine ich jedoch dennoch irgendwie mit meinem Geschreibsel den Nerv zu treffen und das freut mich durchaus.
Somit werde ich versuchen in Worte zu fassen, was seit dem letzten Eintrag bis heute passiert ist.
Gewohnt gefühlvoll. Gewohnt reflektiert. Gewohnt unspektakulär:

3 Punkte vorweg, die ich seit langer Zeit nicht mehr so bewusst und ohne Zweifel von mir behaupten konnte:
Ich bin glücklich!
Ich bin zufrieden!
Und zuletzt etwas, das ich glaube ich noch nie in meinem Leben bewusst von mir behaupten konnte:
Ich sehe positiv in meine Zukunft!

Rückblick in meine frühen Jugendjahre:
Ich erinnere mich, dass ich bereits im frühen Jugendalter viele Gedankengänge hatte, die sich mit Selbstverletzung, Suizid und Depressionen beschäftigten. Die Masse an Emotionen, welche sich in meiner kleinen Seele tummelten überforderte grundsätzlich mein sanftes Gemüt und somit hatte ich viele Jahre lang Gedanken wie „wenn ich tatsächlich XX Jahre alt werde, war ich nicht konsequent genug“.
Das Wort „Nein“ war lange Zeit ein Wort, welches nur sehr schwer und wenn, dann mit einer Prise Schuldbewusstsein über meine Lippen kam. Keine besonders gesunde Einstellung wenn es um das Schützen des eigenen Wohlbefindens geht.
In einem Wechselbad aus „Himmelhochjauchzend“ und „zu Tode betrübt“ gab ich vor allem in frühen Jahren einiges an Verantwortung für mein persönliches Wohlbefinden in fremde Hände, indem ich mich in geregelte Arbeitszeiten, Wochenenden, Partys, Urlaube, aber auch in Beziehungen flüchtete, die mich im Nachhinein betrachtet oftmals davon abhielten, mich mit den grundsätzlichen Problemen meiner inneren Unausgeglichenheit zu beschäftigen.
Wie viele andere Menschen, die ich im Laufe meines Lebens kennen und mittlerweile auch verstehen gelernt habe, war ich sehr gut darin mich mit den Problemen anderer zu beschäftigen, anstatt mit meinen eigenen.
Diese Charaktereigenschaft hat sich bis heute nicht zwingend geändert, aber durch die Distanz fällt es mir derzeit um einiges leichter, mich mehr um mich selbst zu kümmern und nicht der ganzen Welt helfen zu wollen, bzw. mich auf kurze klare Impulse zu beschränken, anstatt jemanden den ganzen Weg über jede Hürde begleiten zu wollen.
So langsam beginne ich wohl zu verstehen, was „Helfen“ eigentlich bedeutet.
Rückblick Ende

Dezember 2016
4 Monate lang befand ich mich ununterbrochen in Kolumbien. Jeder einzelne Tag war für mich wichtig, um mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, auch wenn dies teilweise bedeutete nächtelang keinen geruhsamen Schlaf zu finden und mich mit einer bis an eine Sozialphobie ähnelnde Melancholie von möglichst allen menschlichen Verbindungen zurückzuziehen. Für mich gab es nur den einen Plan mich künstlerisch weiterzuentwickeln und ggf. meine Reise mit der Kalligraphie zu finanzieren oder zumindest verlängern zu können. Alles andere war mir egal… bis auf ein paar wenige Ausnahmen:

Bereits in meinem ersten Reisebericht schrieb ich darüber, wie schwer mir der Abschied in Deutschland fiel. Dass ich Tränen in den Augen hatte bei dem Gedanken, möglicherweise ein paar meiner Freunde viele Jahre nicht mehr wiederzusehen. Dass ich Angst vor meiner eigenen, radikalen Entscheidung hatte, alles hinter mir zu lassen und zu gehen und damit Menschen, die mir wichtig waren vor den Kopf zu stoßen und gegebenenfalls zu verlieren. Dass es einen weiteren Menschen gab, der sich in mein Herz verirrt hatte und den ich nur zu gern bei mir behalten hätte.

13.Dezember 2016, Bogota internationaler Flughafen
Vor etwa 2 Monaten hatte ich einen Entschluss gefasst: Wenn ich es schaffe über einen gewissen Zeitraum möglichst wenige Ausgaben zu haben und mehr oder weniger auf 0 zu bleiben, buche ich einen Flug zurück nach Deutschland, um rechtzeitig für einen Geburtstag in München zu sein und die Feiertage mit Freunden und Familie in Stuttgart zu verbringen.
Die Schilder, welche ich in Minca malte waren der Schlüssel zu diesem Vorhaben, denn Dank ihnen hatte ich die Möglichkeiten an einem wundervoll, ruhigem Ort zu bleiben und so gut wie kein Geld auszugeben und somit saß ich am Abend des 13. Dezember 2016 am internationalen Flughafen Bogota und wartete geduldig auf meinen Flug über Madrid nach München.

5 Wochen Deutschland, in denen mir bewusst wurde, dass ich niemanden vor den Kopf gestoßen und niemanden verlassen hatte. Jeder freute sich mich zu sehen und ich genoss die vielen spontanen oder geplanten Zusammentreffen mit Menschen, die mich über Jahre hinweg begleitet und geprägt hatten. Vielmehr merkten die Menschen auch, wie sehr ich mich wieder ins Positive verändert hatte.
In dieser Zeit wurde mir auch eine weitere Sache sehr bewusst.
Sollte irgendetwas schief gehen, oder ich mich doch nicht mehr wohl fühlen. Irgendetwas Unvorhergesehenes, war ich praktisch gesehen nur etwa 15 Reisestunden von Deutschland entfernt und somit war diese Distanz plötzlich relativ geworden.
Jede zweite Busfahrt hier dauert länger 🙂


(Bilder: links meine Rückkehr aus Deutschland mit Jay, einem der Volunteere in La Fuente/ rechts Candela wollte mich wohl wecken :))

Es mag ein wenig platt klingen, da ich das Wort Liebe so oft verwende, aber seit ich mich geöffnet habe, mich entschieden habe, dass diese Masse an Emotionen, die mich mein ganzes Leben schon begleitet und innerlich zerfleischt haben kein Fluch sondern vielmehr ein Segen sind, sind viele Menschen in mein Leben getreten, die diese Gewissheit mit mir teilen. Viele Menschen, denen eine Umarmung wichtig ist. Viele Menschen, denen Gespräche wichtig sind. Viele Menschen, denen Gefühle und Ehrlichkeit wichtig sind und ich beginne langsam viele Hintergründe zu verstehen, warum Menschen so sind wie sie sind.

Vor allem finde ich weiterhin jeden Tag mehr heraus, was mir persönlich wichtig ist. Ganz allein und ohne äußere Einflüsse von Menschen, die möglicherweise ganz andere Erwartungen an sich selbst stellen. Menschen, die aufgrund deren Erziehungen, Lebensphasen und Erfahrungen ganz andere Wege eingeschlagen haben.
Ich habe noch nie soviel über mich, meine Wünsche, meine Sehnsüchte und meine Seele gelernt, wie in diesem Jahr 2016.
Ich will nicht sagen, dass ich frei von Stimmungsschwankungen bin. Es gibt noch einiges aufzuarbeiten und es gibt noch immer äußere Einflüsse und Erinnerungen, die es schaffen meine Seele zu verletzen. Aber ich bin auf einem guten Weg und somit werde ich jetzt ein wenig theatralisch ein Danke schön in die Welt senden:
an die Menschen, die mich in den richtigen Momenten in den Arm genommen haben.
Die mir meine Gefühlsausbrüche und egoistischen Phasen verziehen haben. Die mir Körperwärme und Ruhe spendeten, als ich nichts anderes benötigte. Die mein tonlos geflüstertes „bitte küss mich“ nicht belächelten und ihrem eigenen Ego zugute kommen ließen, sondern den wahrhaftig ehrlich ausgedrückten Wunsch nach Zuneigung verstanden.
Die meine Tränen sahen und mir versicherten, dass diese kein Zeichen von Schwäche seien.
Die vielen Gespräche, die ich mit den Volunteers und Chefs von La Fuente in Minca hatte. Die Zeit, welche mir dort gelassen wurde, um wirklich alles, was in meinem Kopf falsch lief auf meinen persönlichen Tisch zu knallen und zu verarbeiten, selbst wenn ich tagelang keinen Stift anrühren konnte, um an den Schildern weiterzumalen und somit an mir selbst zweifelte, ob ich die Berechtigung eines Volunteer-Status überhaupt verdient hatte.
An eine Familie, die mir ohne Druck und Urteil immer alle Möglichkeiten und Entscheidungen überlassen hatte, die ich auf meinem Weg so traf.


(Bilder: links die Aussicht eines anderen Hostels namens Mundo Nuevo / rechts eines meiner Projekte hier)

 

Gleichzeitig entschuldige ich mich:
bei den Menschen, die ich verletzt habe, als ich alles persönlich nahm und niemanden mehr sehen wollte. Bei den Menschen, deren Leid ich nicht angemessen und dauerhaft verstand und denen ich Teile der Verantwortung meines eigenen Unwohlseins anlastete. Menschen, welche im richtigen Moment eine Umarmung benötigt hätten und bei denen ich nicht mehr in der Lage war, diesen Wunsch zu erfüllen. Als ich um ein Lächeln gebeten wurde und selbst das nicht mehr möglich war.
Vielleicht wird mir eines Tages die Gelegenheit gegeben, diesen Wünschen nachzukommen. Vielleicht auch nicht. Das wird sich zeigen.

Ich bin realistisch ausgedrückt Obdach- und Arbeitslos. Alles was ich habe sind 3 Kartons zu Hause und einen 70 L Rucksack, der zur Hälfte gefüllt ist mit Kalligraphie Büchern, Markern und jeder Menge Stiften. 22 Kilo auf meinen Schultern und Wanderschuhe mit magenta-farbenen Schnürsenkeln an den Füßen 🙂 (Sorry auch an die, die diesen Anblick ertragen müssen ;))
Meine Stimmung ist so gefestigt, wie noch nie in meinem Leben. Ich befinde mich an einem wunderschönen Ort mit wunderbaren Menschen.
Meine Ideen und Kreativ-Phasen werden mit in den Arbeitsplan integriert und meine Entwicklung Tag für Tag wert geschätzt.

Vielleicht werde ich bald nicht mehr ganz so melancholisch schreiben müssen 😉

Liebe Grüße
David

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert