2018 ist nicht das klassische Jahr, das man mit dem Wort „Liebe“ abschließen würde. Ich möchte nicht leugnen, dass es extrem schwere Phasen gab, die mich geprägt haben und auch zeitweilig verzweifeln ließen.
Ich hatte Wochen, die durchtränkt waren voller Wut. In denen ich nur mühsam meine Arbeit erledigen konnte.
In denen mich Freunde und Familie aufgefangen haben, weil ich am Boden zerstört war. Unfähig, in meinem eigenen Wesen einen Wert zu entdecken, den es zu lieben lohnt.
Im Laufe des Jahres habe ich drei Texte in meinem Blog veröffentlicht, die ich jedoch später wieder herausnahm.
Den letzten hatte ich schon gar nicht mehr wirklich öffentlich gemacht. Zuviel über Depression. Zuviel über die negativen Facetten dieses Jahres. Zuviel Selbst-Beweihräucherung im Leiden.
Anfang des Jahres 2019 entschied ich, dass ich das nicht mehr will.
Ich weiß mittlerweile woher meine negativen Glaubenssätze kommen. Warum ich ein Mitläufer war. Ein Fähnchen im Wind. Jemand, der starken Menschen folgt und seinen vermeintlich berechtigten Anteil an Loyalität fordert. Egoistisch. Narzisstisch.
Selbstreflektiert, aber spät erkennend, dass ich mich in großem Maße auch selbst manipuliert hatte, nicht auf meine Gefühle hörte und letztendlich an der Liebe und dem Vertrauen zu meinem Selbst scheiterte.
Aber was heißt schon scheitern?
Scheitern klingt, als ob ich es besser wissen und dementsprechend handeln hätte können.
Im Buch „intelligente Zellen“ beschreibt der Autor Bruce Lipton, dass ein Mensch ab dem Moment der Erkenntnis die Verantwortung trägt, etwas an seinem Handeln zu ändern.
Wenn er oder sie keine Kenntnis über das Problem hatte stellt sich die Frage, inwiefern der- oder diejenige sich selbst in diese Verantwortung nehmen kann.
Und ich spreche nicht von Schuld. Ich spreche rein von der Verantwortung und dem Willen, an dem Umstand etwas zu ändern.
Was alles passierte, seit ich in den Flieger nach Deutschland stieg:
Costa Rica – 20.01.2017
In sieben Tagen geht es los. Zurück nach Deutschland. Zurück in ein neues Leben.
In eine neue Stadt.
Vorfreude.
Tausende Erwartungen und die Überzeugung, alle Altlasten abgelegt zu haben.
Strahlen.
Übermut, Euphorie.
München
März 2018
Ein Freund in Stuttgart vermittelt mir den Auftrag für eine Kneipe in Stuttgart eine Wand zu gestalten.
Ich sage zu. Besuche meine alte Heimat immer wieder, bis wir mit der Wand beginnen können.
Nur ein oder zwei Monate später sitze ich in derselben Kneipe. Mein Kopf lehnt an der Brust desselben Freundes. Tränen laufen tonlos über meine Backe auf sein T-Shirt. Er nimmt mich in den Arm und sagt dabei kein Wort.
Geborgenheit. Ehrlichkeit.
Mein eigener Wert fällt und fällt und ich bin nicht in der Lage ihn aufrechtzuerhalten.
Juni 2018
Trotz aller Zweifel und dem emotionalen Chaos, welches in mir vorherrscht, habe ich es geschafft einen Businessplan zu schreiben und mich zum 7.Juni 2018 in München selbstständig gemacht.
Ich bin auf der Suche nach einem geeigneten Therapeuten.
Die Coaches, mit denen ich in der Gründungsphase zusammenarbeite und die mich unterstützen übernehmen zum Teil therapeutische Aufgaben und versichern mir, dass der Gründerzuschuss eine einmalige Gelegenheit ist, indem ich das kommende halbe Jahr bei meinem Vorhaben in hohem Maße finanziell unterstützt werde.
Ich stelle den Antrag im Mai und er wird mir genehmigt. Ich hatte aber auch eine Menge Arbeit in die Ausarbeitung des Businessplanes gesteckt.
Der Zuschuss gilt bis Dezember 2018.
Bietigheim Juni/Juli 2018
2 Wochen habe ich eingeplant für dieses Projekt und am Ende benötige ich die beiden Wochen bis zum letzten Tag.
Selbst an Tagen, an denen ich fast nicht aus dem Bett aufstehen will zwinge ich mich dazu zumindest die perspektivischen Linien in den Häusern zu ziehen.
Ich bin viel allein und rauche viel zu viel.
Später wird mir mein Therapeut erklären, dass Nikotin eine Ersatzbefriedigung ist für Menschen, die sich selbst spüren wollen.
„Sich selbst spüren“ – ein banaler Satz, der erst jetzt viel mehr Sinn macht, als bisher.
Mir wird immer bewusster, wie tief ich in der Scheiße stecke und dass ich in diesem Zustand nicht in der Lage sein werde, die Selbstständigkeit aufrechtzuerhalten.
Ich mache dennoch weiter und verfolge einen kleinen Schritt nach dem anderen.
21.Juni 2018
Ich betrete das Zimmer eines Therapeuten in München. Ein freundlich blickender Mann mit Bart sitzt da und bietet mir an, auf dem Stuhl oder dem Sofa Platz zu nehmen.
Ich wähle den Stuhl und wir beginnen eine tiefenpsychologische Therapie… 100 Stunden – ca 2 Jahre Dauer.
Kurze Verschnaufs-Pause in der chronologischen Reihenfolge meiner Ausführungen
Wieviel Einfluss kann ein einziger Mensch auf dein Leben nehmen?
Genau so viel, wie du zulässt.
Wie lange braucht dieser Mensch dafür?
Eine Sekunde, ein Jahr, ein Leben.
Wann ist es an der Zeit, mit der Heilung zu beginnen?
Dann, wenn man merkt, dass man erkrankt ist.
Die Therapie
Ansich hat es viel zu lang gedauert, bis ich das erste Mal ein Therapie-Zimmer von innen gesehen habe. Ich erinnere mich, dass ich mit 15 oder 16 mal auf eigene Faust einen Termin bei einer Jugendpsychologin ausmachte, diesen aber wieder absagte, weil ich mich schämte, meinen Trainern davon zu erzählen und das Training nicht schwänzen wollte.
Falscher Ehrgeiz?
Ein romantisches Verständnis von Loyalität?
Vielleicht habe ich mir selbst auch viel zu gut in dieser dramatischen Melancholie gefallen.
Man sieht es wohl noch heute an meinen Texten, dass da was dran sein muss.
Wie man es dreht und wendet. Ich bin nicht hingegangen und daran lässt sich nichts ändern.
Dafür sitze ich nun, ca 16 Jahre später, einem freundlich dreinblickenden Menschen in München gegenüber. Er trägt einen Bart und zwinkert oft hinter seiner Brille, wenn ihm grad gefällt, wie sich das Gespräch entwickelt.
Wir verstehen uns gut und machen schnell Fortschritte, auch wenn mich das manchmal ganz schön fordert.
Vor allem dann, wenn es darum geht, woher ich komme. Die Geschichte unserer Familie und wie sich diese auf mich und damit auf alles, was ich bisher gemacht habe, ausgewirkt hat.
Mit seiner Unterstützung gestalte ich ein völlig neues unternehmerisches Ich. Mit neuer Website, neuem Logo, neuen Visitenkarten und einem neuen, alten Namen: www.davidmair.de – Schilder und Wandmalerei.
Mit in die neue Website ist mittlerweile auch eine interaktive Weltkarte integriert mit den meisten meiner Arbeiten und wo sie zu finden sind. Ein Plan, den ich bereits vor anderthalb Jahren hatte.
Mein Selbstvertrauen steigt wieder.
Ich lese viel und durch das viele Meditieren verstehe ich meine Gefühle immer besser.
Wann kommt die Erkenntnis, wann die Wut, wann die Traurigkeit, wann fällt alles ab und wann ist man wieder ein Schritt näher, der Mensch zu sein, der man eigentlich sein kann und will.
Losgelöst von alten Glaubenssätzen, die einem im Laufe der Zeit suggerieren zu wissen, was richtig und was falsch ist.
Den eigenen Gefühlen vertrauen.
Ein Rohling, ein leeres Blatt Papier. Darauf wartend wieder neu beschriftet zu werden.
Mit Positivem. Mit Liebe zum Selbst. Mit Überzeugung.
Ich bin nun seit einem halben Jahr regelmäßig zu meinen Sitzungen gegangen. In dieser Zeit habe ich vieles erreicht, was man nicht in Geld messen kann. Allein dafür hat München den Jahres-Abschluss „Liebe“ verdient.
Es war eine heftige Zeit, aber auch gut und vor allem lehrreich.
2019
Das Jahr 2019 beginnt mit dem Gefühl, welches ich vor allem im letzten Jahr viel zu viel verspürt hatte. Wut.
Sie hat sich über die letzten Wochen aufgebaut und verschleiert mir die Sicht auf die positiven Dinge, welche dieses Jahr auf mich zukommen werden.
Ein Verarbeitungsprozess hat über die Feiertage Fahrt aufgenommen und wurde von Tag zu Tag unerträglicher.
Am 01.01.2019 bricht sie in einer Mischung aus Kater und Frust aus und ich erreiche einen guten Freund, der mich abholt und mehrere Stunden mit mir durch die kalte, dunkle und hügelige Dorflandschaft um Stuttgart fährt.
Wir fahren, bis die Wut verflogen ist und wir irgendwo in einem winzigen Dorf auf einem Berg ein Hotel finden, welches geöffnet hat.
Da sitzen wir. Cola trinkend und unterhalten uns, den Blick ins dunkle Tal, welches nur spärlich durch die kleinen gelben Lichter des Dorfes beleuchtet wird.
Es ist ruhig und ich schließe ab, mit den Worten, dass dieses Jahr ein paar wirklich abgefahrene Dinge bereithalten wird:
26.01.2019 – Spendengala zur Unterstützung hilfsbedürftiger Kinder im Kursaal Bad Cannstatt
Gäste: Timo Hildebrand, Wolfgang Joop, Max Herre, uva.
Was genau ich mit dieser Veranstaltung zu tun habe möchte ich gerne erklären, doch auch diese Geschichte beginnt, wie viele andere auch, bereits vor einiger Zeit.
Genauer gesagt an einem verkaterten Sonntag im Stuttgarter Stadtteil „Bad Cannstatt“ Anfang 2016:
„Ich wache auf. Ich bin alleine in meinem Zimmer und wohl spät vom Feiern heimgekommen.
So richtig hab ich keinen Plan, was ich mit diesem bereits angebrochenen Tag anfangen soll. Also mache ich das naheliegendste und öffne Facebook auf dem Handy.
Beim scrollen bleibt mein Blick an einem Aufruf hängen:
Kleider-Spenden sortieren in den Räumlichkeiten des alten Zollamts in Bad Cannstatt.
Laufweite ca 10 Minuten.
Wenig später stehe ich einem Raum, der bis oben hin voll ist, mit gespendeten Klamotten und werde von einer Gruppe junger Menschen eingewiesen.“
Damals lief alles noch unter dem Namen Balkan Route Stuttgart. Das waren ursprünglich 3 Jungs, die sich entschieden hatten auf eigene Faust nach Griechenland zu fahren und Kleiderspenden direkt vor Ort an geflüchtete Menschen zu verteilen.
Später wurde daraus unter dem Namen „STELP e.V. – SUPPORTER ON SITE“ eine immer größer werdende Hilfsorganisation, welche während meiner Abwesenheit u.a. ein Selbstversorger Dorf in der Türkei gründete.
Vor etwa einem halben Jahr bekam ich einen Anruf von Serkan, einem der Gründer. Wir waren auch während der Reise noch sporadisch in Kontakt gewesen und somit bekam er auch meine Fortschritte mit.
Bei diesem Telefonat ging es um eine ganz spezifische Frage:
„Wir machen im Januar 2019 eine große Spendengala und ich suche Leute in meinem Bekanntenkreis, die aus der Veranstaltung etwas ganz individuelles machen können. Könntest du dir vorstellen, ehrenamtlich die Namen der Gäste von Hand auf die Einladungskarten zu schreiben?“
Mit meiner Zusage rutschte ich wieder einen kleinen Schritt nach Vorne in Richtung eines Lebens, welches ich leben will.
(Bild: Timo Hildebrand mit mir auf einer Veranstaltung im Breuninger Stuttgart)
Die letzten Worte für 2018:
Am 03.01.2019 entschied ich, meine in früher Kindheit entwickelte untergeordnete Haltung abzulegen. Ich entschied mich nach 3 Jahren Prozess mithilfe von zahlreichen Übungen, Meditationen, Sport, Büchern, Freunden, Aufgaben und letzten Endes eines großartigen Therapeuten, dass es Zeit ist, mich als die Person wertzuschätzen, die ich erstens bin und die ich die ganze Zeit schon war.
Dass das Lob und die Zuneigung, an die ich mich oft geklammert habe (oft zum Leidwesen meiner Mitmenschen), niemals die Zeit, die Zuneigung und auch nicht zu vergessen, den Respekt ersetzen können, welche ich mir selbst entgegenbringe.
Und jetzt erst merke ich, wie sehr ich die Wertschätzung anderer Menschen tatsächlich genießen kann. Wie schön es sich anfühlt, gesagt zu bekommen, dass man gut ist, in dem was man tut und nicht innerlich schon mit einem „aber…“ antworten will. Auch hier behaupte ich noch am Anfang zu sein. Es ist ein langer Prozess, aber er lohnt sich allemal.
Einen großen Schritt habe ich dank einer Podcast-Folge von „My Monk“ gemacht – Mit Tim habe ich in einem Co-Working Space in München zusammengearbeitet und er beschreibt hier eine Technik, mit der man wunderbar effektiv seinem eigenen Tag und somit sich selbst einen viel größeren Wert schenken kann.
Im Anschluss an diesen Text folgt noch ein Video, welches Gregory mir aus Kolumbien zukommen lies.
Es zeigt das Zimmer, welches ich im Drop Bear Hostel (Santa Marta) gestalten konnte und ich muss heute noch schmunzeln, wenn ich sehe, mit was für einer Euphorie er durch den riesigen Aufenthaltsraum führt 🙂
(Zusatz: Heute ist der 26.01.2019 und somit ist heute Abend die Spendengala, für die ich in den letzten Monaten ca 280 Namen auf Einladungskarten kalligrafiert habe.
Des Weiteren bin ich in den letzten Tagen zurück nach Stuttgart gezogen und mit einem alten Arbeitgeber in Kontakt getreten – noch trägt sich die künstlerische Schiene nicht allein, weswegen ich im Oktober 2019 auch ein Studium in Grafik Design beginnen will. Hierzu muss ich mich in den kommenden Monaten finanziell einfach wieder besser aufstellen 😉 In diesem Sinne: Hallo Stuttgart 🙂 )
Vielen Dank und alles Liebe
David Mair – Broken Pencils